Montag, 11. März 2013

Rasende Wut - Spiegel Online

Einen Moment lang ist es ganz still in Saal 122. Alle warten darauf, dass der Angeklagte, ein kleiner, schmaler Mann mit schwarzem Schnurrbart, irgendetwas sagt. Spannung liegt in der Luft, der Polizeioberkommissar Norbert H., 43, der gerade als Zeuge gehrt wird, rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Doch Ahmed S., 52, schweigt. Stattdessen lsst er seinen Anwalt erklren: Die Schilderungen des Beamten seien nicht ganz zutreffend gewesen, die Festnahme sei anders abgelaufen. Als ob das in diesem Moment wichtig wre.

Denn S. muss sich vor der 17. Groen Strafkammer des Landgerichts Dsseldorf verantworten, weil er vor einem halben Jahr in Neuss die Jobcenter-Mitarbeiterin Irene N., 32, mit einem Messer angegriffen und ermordet haben soll. Laut Anklage stach der Marokkaner viermal mit einem 30 Zentimeter langen Fleischermesser auf die 32-Jhrige ein, die wehrlos hinter ihrem Schreibtisch sa. Dabei verletzte er die zierliche Frau so schwer, dass sie innerlich verblutete.

Der Anklage zufolge ging Ahmed S. auf Irene N. los, weil er wtend ber ein Dokument war, in dem er sich mit der Weitergabe seiner Daten an potentielle Arbeitgeber einverstanden erklren sollte. Offenbar verdchtige er die Behrde, mit diesen Informationen Handel zu treiben. "Er fhlte sich betrogen und hatte eine unheimliche Wut", sagt sein Verteidiger Gerd Meister, der dennoch nicht nachvollziehen kann, was genau die Wahnsinnstat ausgelst hatte. Ahmed S. rumte die Messerstiche bei der Polizei zwar ein, erklrte sie aber kaum. Vor Gericht hat er sich bislang nicht uern wollen.

Gelegenheitsjobs, Arbeitslosigkeit, gescheiterte Ehe

Das Verfahren wird sich daher vorrangig mit der Frage befassen mssen, was fr ein Mensch Ahmed S. ist. Seine beiden Verteidiger, auer Meister vertritt ihn der Rechtsanwalt Horst Ruthmann, beschreiben ihn als ruhigen, unbescholtenen Mann, als fnffachen Familienvater, der selbst nicht nachvollziehen knne, weshalb er dermaen die Fassung verlor. Aus Ermittlerkreisen hingegen verlautet, dass S. auch bei anderen Behrdengngen schon ausfllig geworden sei. Ebenso ist von psychischen Aufflligkeiten des Angeklagten die Rede. Ein Sachverstndiger hatte dem Mann einen Intelligenzquotienten von 75 attestiert. ber die geistige Verfassung des Ahmed S. wird zum Ende des Prozesses ein Gutachter berichten.

Unstrittig jedenfalls ist, dass der Landwirt im Jahr 2000 nach Deutschland kam, als Nachzgler. Sein Vater und seine Mutter lebten zu diesem Zeitpunkt bereits seit vielen Jahren in der Bundesrepublik. Dennoch spricht S. bis heute kaum Deutsch, sondern nur Berberisch. Der Marokkaner verdingte sich seither unter anderem als Saisonarbeiter in einer Sauerkrautfabrik und ging putzen. "Er hat eigentlich fast alles gemacht", sagt Anwalt Ruthmann. Doch immer wieder wurde S. arbeitslos, seine Ehe zerbrach schlielich.

Der Gerichtsmediziner, der am Mittwochmorgen vor Gericht aussagt, gibt einen Eindruck davon, in welch unbndiger Raserei Ahmed S. gettet haben muss. Einer der Stiche, die Irene N. erlitt, durchbohrte den gesamten Krper der 1,64 Meter groen Frau. Den Ausfhrungen des Experten zufolge war die verheiratete Mutter eines Sohnes auch nicht mehr in der Lage, sich der heftigen Attacken zu erwehren.

Angeklagter beschwerte sich ber grobe Behandlung durch Polizisten

Der nachfolgende Jobcenter-Klient erinnert sich an Schreie aus dem Zimmer. Er sei hineingestrmt und habe den Mann in den Bauch der Frau stechen sehen. Dann habe der Tter aufgehrt und sei hinausgelaufen. Nachdem im Bro des Opfers Alarm ausgelst worden sei, sei sie auf den Flur gegangen, so eine Kollegin der Getteten. Mit seiner blutigen Hand habe S. ihr bedeutet, nicht nher zu kommen.

Nach Angaben seiner Anwlte war es Ahmed S. selbst, der nach seiner Tat die Polizei alarmierte und dann uerlich gefasst das Jobcenter verlie. Ein Streifenwagen stellte den mutmalichen Mrder etwa hundert Meter vom Eingang des Gebudes entfernt, da hielt er noch die mgliche Tatwaffe in der Hand. Ein Polizist brllte, die Pistole im Anschlag: "Messer weg!" S. lie es fallen. Doch als er sich nicht auf den Boden legen mochte, rang ihn ein zweiter Beamter nieder.

Gefragt, was ihm an dem Angeklagten aufgefallen sei, sagt der Polizeioberkommissar H. vor Gericht, Ahmed S. habe sich heftig und stetig ber die unsanfte Behandlung beschwert. "Ihr habt mein Knie kaputtgemacht", habe der mutmaliche Messerstecher immer wieder gerufen. "Ich konnte nicht nachvollziehen", so der Beamte, "wie man so sein kann. Gerade hat man jemandem das Messer in den Leib gerammt, und dann klagt man ber sein Knie." Der Gerichtsmediziner stellte spter Hautabschrfungen am Bein fest.

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