Die Schilderung erreicht ihren grauenhaften Höhepunkt, als Diana K. berichtet, wie ihr Kollege Mathias Vieth in der Nacht zum 28. Oktober 2011 aus dem Streifenwagen aussteigt, losrennt, seine Waffe zieht und schreit: Polizei! Hinlegen oder ich schieße." Dann fällt der erste Schuss. Kurze Pause. Dann eine Vielzahl von Schüssen aus dem Hinterhalt. An dieser Stelle, an der das Inferno in voller Lautstärke losbricht und die Bilder jener Nacht wieder schmerzhafte Aktualität bekommen, da versagt Diana K. zum einzigen Mal die Stimme.
Eine Minute lang ist kein Hüsteln im Gerichtssaal zu hören. Die 31-jährige Polizeibeamtin atmet schwer, ihre Anwältin Marion Zech drückt sie am Arm. Es ist ein schwerer Gang. Dann erzählt Diana K. mit zittriger Stimme weiter: Wie sie in den Streifenwagen zurückrennt, auf einmal einen stechenden Schmerz an der linken Hüfte verspürt, über Funk mitteilt, dass es einen Schusswechsel gibt, wie sie wieder hochschaut und ihren Kollegen am Boden liegen sieht, sodann eine Person sich aufrichten sieht und drei oder vier Schüsse abgibt. Wie dann Ruhe einkehrt und auf einmal immer mehr Polizisten zum Tatort im Augsburger Siebentischwald kommen. Wie sie zu ihrem toten Kollegen geht. Er lag da wie ein Embryo", sagt sie.
-
Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen. -
Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren. -
Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf. -
Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt. Die Täter flüchten. -
Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg. -
"Wir werden alles tun, um diese Mörder, die vermutlich der schwerkriminellen Szene zuzuordnen sind, so schnell wie möglich dingfest zu machen", kündigt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nach der Tat an. -
Die Ermittler schließen nicht aus, dass die Polizeibeamten die Täter bei einem kriminellen Geschäft oder Vorhaben gestört hatten. "Irgendetwas war da auf dem Parkplatz", sagt Oberstaatsanwalt Günther Zechmann. -
Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an. -
Am 30. Oktober bestätigt die Polizei, dass sowohl der 41-jährige Polizist als auch seine Kollegin noch mehrere Schüsse auf die Täter abgeben hatten. -
Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen. -
Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen. -
Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. -
Am gleichen Tag stockt die Augsburger Polizei die Soko "Spickel" um weitere 10 auf nun 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht. -
Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer. -
Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister nimmt daran teilt. -
Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter. -
Zwei Wochen nach dem Verbrechen werden weitere Details des Tatablaufs bekannt. Demnach wurden Mathias Vieth und seine Kollegin im Siebentischwald aus der Dunkelheit heraus mit mehreren Waffen beschossen, zuerst wohl mit einer Pistole, dann offensichtlich mit einer größeren Waffe. Vieth wurde dabei von mehreren Schüssen getroffen und tödlich verletzt. -
Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht. -
Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um zwei Brüder. Einer von ihnen hatte bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen. -
Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden. -
Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren. -
Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter eines der Verdächtigen. Bei ihr waren Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden worden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt hatten. -
Im Juli 2012 wird die Tochter des mutmaßlichen Polizistenmörders Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig. -
August 2012: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die mutmaßlichen Mörder des Polizisten Mathias Vieth. Die Verdächtigen Rudi R., 56, und Raimund M., 58, sollen sich im Frühjahr 2012 wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes verantworten. -
Der Prozess um den Mord wird ein Mammutverfahren: Die Schwurgerichtskammer des Augsburger Landgerichts hat 49 Verhandlungstermine bis zum Jahresende vorgesehen. -
Mathias Vieth war der dritte Augsburger Polizeibeamte, der seit dem Zweiten Weltkrieg im Dienst sein Leben ließ.
Die Aussage der 31-Jährigen war am dritten Verhandlungstag mit Spannung erwartet worden. Denn: Diana K. ist die einzige Augenzeugen des schrecklichen Geschehens von damals. Sie wurde durch einen Streifschuss leicht verletzt, sie leidet bis heute psychisch unter dem Geschehen. Wie mehrere Rettungssanitäter und ein Kriminalhauptkommissar am Vormittag aussagten, stand die Streifenkollegin von Mathias Vieth bei ihrem Eintreffen am Tatort unter sehr schwerem Schock.
Kollegin von Mathias Vieth kann die Mörder nicht beschreiben
"Die war völlig durch den Wind", sagte ein Rettungsassistent. Man habe daher auch nicht nachgefragt, was genau passiert sei. Auch der Kriminalkommissar berichtete, dass aus Diana K. "kein Wort" herauszubekommen gewesen sei. Die 31-Jährige sei später von ihrem Dienstgruppenleiter vom Tatort weggebracht worden.
Für die Verteidiger der angeklagten Ramind M. und Rudi R. dürfte ein Aussagedetail der Beamtin eine große Rolle spielen. Diana K. sagte, dass sie die beiden Täter damals als eher junge Männer eingeschätzt habe. Denn beide hätten sich bei der Kontrolle relativ leicht auf das Motorrad geschwungen und seien flott davongefahren. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters betonte die Polizistin, dass sie keine Gebrechlichkeit und auch kein Zittern bei einem der Verdächtigen gesehen habe. Hintergrund: Der ältere der beiden Brüder, Raimund M., zittert stark, er leidet sichtbar an Parkinson.
Ansonsten konnte Diana K. nur eine sehr vage Beschreibung der zwei Männer abgeben, die nach der Verfolgungsfahrt ihren Kollegen erschossen hatten. Sie hätte die beiden Täter nur ungenau gesehen, so die Polizistin. Zudem hätten die zwei Männer Helme getragen, als sie auf einem Motorrad flüchteten. Nur von einem der beiden habe sie durch das Visier des Helmes die Augenpartie sehen können.
"Es sah aus wie auf dem Schlachtfeld"
Die Rettungskräfte berichteten am Vormittag auch, wie sie den Tatort wenige Minuten nach den Schüssen vorgefunden hatten. Der Polizeibeamte Mathias Vieth (41) war nach dem Schusswechsel im Augsburger Siebentischwald offenbar sofort tot.
Einer der Rettungsassistenten berichtete, auf der Anfahrt zum Tatort habe es "wie auf dem Schlachtfeld" ausgesehen. Jegliche Wiederbelebungsversuche waren erfolglos, sagten die Sanitäter.
Ein Kommissar der Augsburger Kripo, der als einer der ersten am Tatort war, versuchte ebenfalls, den Kollegen Mathias Vieth zu reanimieren. "Er lag da in Embryonalstellung. Ich habe ihn auf den Rücken gedreht, ihm die Schutzweste ausgezogen und mit der Herzdruckmassage begonnen." Aber es war zu spät. Bei einer ersten äußeren Leichenschau mit einem Rechtsmediziner habe er mindestens sieben Treffer im Körper des toten Polizeibeamten entdeckt. mit dpa
Jetzt bestellen! Das neue iPad inkl. e-Paper.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen