Samstag, 24. November 2012

„Das sind keine Monster“ - Märkische Allgemeine

POTSDAM - Frank E. braucht einen guten Anwalt. Der 56-Jährige soll sich auf seinem Reiterhof an heranwachsenden Jungen vergangen haben. Wie es für R. am nächsten Donnerstag ausgeht, wenn vor dem Landgericht Potsdam das Urteil verkündet wird, weiß allerdings auch Rechtsanwalt Matthias Schöneburg nicht: „Warten wir's ab."

Für Brandenburgs wohl bekanntesten Strafverteidiger ist der Arbeitstag an diesem Abend noch nicht zu Ende. Im Wartezimmer sitzen zwei junge Männer, die zum Anwalt wollen – kurze Haare, Baseballjacken, Handy griffbereit. Schöneburg lässt sie warten. Diese Pause gönnt sich der 57-Jährige, der in Lederjacke und offenem Hemd hinterm Schreibtisch sitzt. Dabei würde ein Anzugträger besser hierher passen. Die Kanzlei befindet sich in einer gediegenen Villa in der Berliner Straße in Potsdam, umgeben von Büros der gehobenen Klasse. Die Tür zum Wintergarten steht offen, ein letzter Sonnenstrahl fällt auf Aktenstapel.

Seit 20 Jahren betreibt Schöneburg mit seinem Kollegen Karsten Beckmann die Kanzlei und ist seit dieser Zeit der Anwalt für Verfahren, die Staub aufwirbeln und Schlagzeilen machen. Natürlich sei auch er ein wenig eitel und stehe gern mal im Mittelpunkt, gibt der gewichtige Schöneburg unumwunden zu. Aber letztlich sei das Blitzlichtgewitter der Fotografen nur Beiwerk in der ansonsten nüchternen Gerichtskulisse. „Die spektakulären Fälle sind nun mal die interessantesten", erklärt der Anwalt. Er agiert auch hier zumeist als Pflichtverteidiger, weil die Mandanten vielfach mittellos sind. Zu ihnen zählten der Mörder und Sexualstraftäter Frank Schmökel, aber auch der Rechtsextremist, der den 17-jährigen Marinus S. im uckermärkischen Potzlow umbrachte. Schöneburg verteidigte auch Sergej Serow, den Entführer des Geltower Gastwirtssohns Matthias Hintze, und Sabine H., die neun Kinder nach der Geburt unversorgt sterben ließ. Mörder, Entführer, Vergewaltiger – gescheiterte Existenzen, deren Weg unaufhörlich nach unten führt. Mandanten wie diese können nie mit einem Freispruch rechnen. Es geht darum, ein faires Urteil zu erstreiten. Schöneburg weiß, dass die Öffentlichkeit ihr Urteil bereits gefällt hat, bevor das Gericht entscheidet. Nach der Hintze-Entführung 1997 kursierten Unterschriftenlisten, in denen für die Entführer des qualvoll erstickten 20-jährigen Opfers die Todesstrafe verlangt wurde – auch am Gymnasium von Schöneburgs Tochter.

Wer sich auf diese Fälle einlässt, blickt in die Abgründe der menschlichen Seele. „Das gehört dazu. Ich mache Strafrecht und nicht Zivilrecht. Da wüsste ich nicht mal, wo Kläger und Beklagter im Gericht sitzen", sagt Schöneburg. Ihn interessiere die Geschichte, die hinter der Tat stecke. Da offenbarten sich Irrwege, Abstürze oder im Fall von Sabine H. viel Verzweiflung. „Das sind keine Monster", so der Rechtsanwalt. „Die kommen doch nicht als Schwerverbrecher auf die Welt." Wenn Schöneburg im Gefängnis von Duben zu tun hat, besucht er noch heute die 2006 wegen Totschlags zu 15 Jahren Haft verurteilte Sabine H.

Dem Anwalt ist klar, dass Erklärungsversuche über ein verkorkstes Leben bei Angehörigen von Opfern auf taube Ohren stoßen. „Das muss ich akzeptieren." Er selbst bemühe sich, das oft Unfassbare der Verbrechen in der Kanzlei oder im Gericht zu lassen. Das gelinge aber nicht immer. „Besonders schlimm ist es, wenn es um Kinder geht." Aber auch in solchen Fällen lehnt Schöneburg das Mandat nicht ab. Nur einmal hat er sich geweigert, als er die Verteidigung des Rechtsextremisten Horst Mahler übernehmen sollte. Zu seinem Tagesgeschäft gehören aber auch viele Fälle, die von den Medien kaum beachtet werden. Die oft jugendlichen Angeklagten waren in Diebstähle oder Schlägereien verwickelt.

Schöneburg kommt aus einer Potsdamer Juristenfamilie. Vater Karl-Heinz war zu DDR-Zeit Staatsrechtler und nach der Wende Brandenburger Verfassungsrichter, Bruder Volkmar ist für die Linkspartei Justizminister. Auch Matthias Schöneburg studierte in Ost-Berlin Jura. „Aber Politik wäre nichts für mich. Ich brauche meine Unabhängigkeit." Inspiriert von einem Onkel, wollte er Strafverteidiger werden. „Der hat tolle Geschichten von kleinen und großen Ganoven erzählt", erinnert sich Schöneburg. Aber er bekam nach seinem Studienabschluss Mitte der 80er Jahre keine Anwaltszulassung. Das Potsdamer Anwaltskollegium schickte ihm regelmäßig Ablehnungen. „Immer einen Einzeiler." Für die wenigen Stellen war absolute Linientreue ehernes Gesetz. „Im ganzen Bezirk Potsdam gab es damals 44 Rechtsanwälte. So viele wie heute in meiner Straße." Er habe nicht aus der DDR abhauen wollen, sagt Schöneburg. „Die wollten mich aber trotzdem nicht." 1989 teilte man ihm schließlich mit, dass er die falschen Freunde habe, solche, die Ausreiseanträge gestellt hätten. Man brauche keinen Anwalt, der denen auch noch die Papiere formuliere.

Schöneburg landete nach dem Studium in der Baustoffversorgung Potsdam und war für den Eigenheimbau zuständig. „Ein Job mit viel Ärger. Von 1000 geplanten Häusern gab es nur für 500 Material." Der unangepasste Jungjurist wurde nach der Wende Mitglied im frisch gegründeten Betriebsrat, kam Mauscheleien seines Chefs auf die Spur und wurde gekündigt. 1990 erhielt der damals 35-Jährige die Anwaltszulassung. Er arbeitete sich bei einem früheren Kommilitonen in Neuruppin in den Beruf ein. Sein erster Fall war sein eigener. Er klagte erfolgreich gegen die Kündigung. In den Betrieb zurück wollte er allerdings nicht. „Ich wollte mein Recht. Und das bekam ich."

Matthias Schöneburg, der Vater dreier Kinder ist und seit zehn Jahren in Fichtenwalde (Potsdam-Mittelmark) wohnt, ist sichtlich stolz darauf, sich durchgekämpft zu haben. Der Eishockey-Schläger an der Wand verrät Schöneburgs Vorliebe für einen der wenigen Ost-Sportclubs, der sich nach der Wende behaupten konnte: die Berliner Eisbären. „Ich habe eine Dauerkarte und gehe seit 1997 zu jedem Heimspiel. Dann wird richtig auf die Pauke gehauen", freut sich der Anwalt aufs nächste Mal.

Der Spruch auf seiner Handy-Mailbox zeigt Schöneburgs Sinn für schrägen Humor. Der Satz „Hier ist der Teufel persönlich. Wenn ihr nicht in die Hölle wollt, sprecht nach dem Piep" stammt aus einem Justizthriller mit Al Pacino. (Von Volkmar Krause)


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