Freitag, 19. Oktober 2012

Spur an Schnürsenkel soll Mörder überführen - DIE WELT

Am Abend des 29. Dezember 2011 erschien auf der Polizeiwache im brandenburgischen Ludwigsfelde ein klein gewachsener Mann. "Mein Name ist Scholl", sagte er. "Ich habe ein großes Problem und möchte darüber mit einem Polizisten reden." Seine Frau sei seit mehreren Stunden spurlos verschwunden. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen, was sie sonst so nie tue. Wenig später fragte er, ob der Beamte ihn vielleicht kenne: "Ich bin der ehemalige Bürgermeister."

Der Beamte ahnte zu dem Zeitpunkt noch nicht, wie sich der Fall entwickeln würde. "Ich habe damals gedacht, irgendwas ist da atypisch", sagt er als Zeuge vor einer Schwurgerichtskammer des Potsdamer Landgerichts. Warum, wisse er nicht. "Vielleicht wegen der kurzen Zeitspanne zwischen dem Verschwinden der Brigitte Scholl und der Anzeige ihres Mannes bei der Polizei."

Der Mann, der damals auf der Wache erschien, sitzt in diesem Prozess auf der Anklagebank: Heinrich Scholl, inzwischen 69 Jahre alt, aber weitaus jünger wirkend. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, am 29. Dezember 2011 zur Mittagszeit seine 67 Jahre alte Ehefrau Brigitte Scholl in einem Waldstück zwischen Siethen und Ludwigsfelde unvermittelt "von hinten mit einem Schnürsenkel um den Hals erdrosselt" zu haben. Ein Mord aus Heimtücke also. Den Ermittlungen zufolge waren beide mit dem Hund der Familie, einem Cockerspaniel, spazieren. Auch der Hund wurde getötet.

Angeklagter schweigt

Scholl wird zunächst nichts sagen in diesem Prozess. "Er wolle sich erst einmal akklimatisieren", sagt seine Verteidigerin Heide Sandkuhl. Und ergänzt: Das habe aber nichts damit zu tun, dass ihr Mandant sich etwa schuldig fühle. Er mache nur von seinem gesetzlich gegebenen Recht Gebrauch, vor Gericht zu schweigen. Anwältin Sandkuhl nutzt das erteilte Wort dann auch gleich für eine komprimierte Sicht der Verteidigung auf dieses Verfahren: "Die bislang ermittelten Indizien sind keine tragfähige Grundlage für eine Verurteilung."

Tatsächlich wird es spannend sein, was die Staatsanwaltschaft an Beiweisen zu bieten hat. Bislang erscheinen diese dürftig. Wichtigstes Indiz sollen die Verbindungsdaten von Heinrich Scholls Handy sein. Sie wurden, berichten Ermittler, zur mutmaßlichen Mordzeit in der Nähe des späteren Fundorts registriert.

Scholl indes will sich nach eigener Aussage zu dieser Zeit in einer Therme in Ludwigsfelde aufgehalten haben. Andere Indizien, heißt es, seien DNA-Spuren, die am Tatort sichergestellt worden sind: am Schnürsenkel, mit dem Brigitte Scholl erdrosselt wurde, und an einem ihrer Kleidungsstücke. Den Ermittlungen zufolge können sie Heinrich Scholl zugeordnet werden. Es bleibt jedoch die Frage, wann und wie die Spuren dort haften blieben. Der Angeklagte und seine Frau wohnten schließlich gemeinsam in einem Haus.

Ehemann könnte Frau wegen Nebenbuhlerin umgebracht haben

Als Motiv nennen die Ermittler das zerrüttete Verhältnis zur Ehefrau. Diese habe sich im gemeinsamen Haus vermutlich nur noch geduldet gefühlt, heißt es. Die Rede ist auch von einem Verhältnis mit einer als Prostituierte arbeitenden Thailänderin. Scholl soll wegen dieser Geliebten einige Zeit sogar in Berlin eine eigene kleine Wohnung gemietet haben. Seit Mai 2008 habe er die Frau großzügig finanziell unterstützt, heißt es, und sich eine Lebenspartnerschaft gewünscht.

Im Dezember vergangenen Jahres, kurz vor dem Tod seiner Frau, soll Scholl dann wieder ins gemeinsame Haus nach Ludwigsfelde zurückgekehrt sein. Und er soll seiner Ehefrau gesagt haben, dass seine Affäre mit der Geliebten beendet sei. Dennoch soll er weiter Kontakt zu der Thailänderin gehabt haben. SMS-Botschaften, die er sogar kurz vor und nach der Tat an diese sendete, sollen das belegen. Scholl selbst hat die Vorwürfe von Anfang an bestritten.

Er hatte am 29. Dezember bei Freunden, Bekannten, Anwohnern nachgefragt, ob sie wüssten, wo sich seine Frau aufhalten könnte. Er war – wie er bei der Polizei zumindest angab – am 29. Dezember auch noch einmal die übliche Gassi-Runde im Wald abgelaufen. Der unter Laub und Moosbüscheln verborgene Leichnam der Frau wurde erst am nächsten Tag gefunden.

Suche nach Zeugen erfolglos

Anfang April, Heinrich Scholl saß schon seit Wochen in Untersuchungshaft, schaltete er mit Hilfe seiner Anwälte im "Wochenblatt" eine Anzeige in der Rubrik "Alles, was Recht ist" und bat Zeugen, die ihn am 29. Dezember in der Therme gesehen haben, sich bei der Polizei zu melden. Dem Vernehmen nach jedoch ohne Erfolg.

Im 24.000 Einwohner zählenden Ludwigsfelde sorgt der Prozess für große Unruhe. Der SPD-Politiker galt als Ehrenmann und Macher in der Region. Er holte Daimler zurück in die Stadt und sorgte auch sonst für viele neue Arbeitsplätze. Er ließ ein neues Rathaus bauen, ein Einkaufszentrum, eine Sporttribüne und das größte FKK-Spaßbad Europas.

Einige wenige Luwigsfelder verfolgen den Prozess. Ins Landgericht gekommen ist Matthias Scholl, der 48-jährige Sohn des Angeklagten und der Ermordeten. Er will den Prozess als Nebenkläger beobachten. Er will den Prozess als Nebenkläger beobachten. Es vergehe kein Tag, an dem er nicht über das sinniere, was passiert sein könnte, sagte Matthias Scholl in einem Interview. "Ich habe überhaupt keine Erklärung für den Mord an meiner Mutter. Sie war beliebt, sie hatte keine Feinde. Für mich ist die Situation unwirklich, nicht reell, nicht greifbar."

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