Stephan Weil ist Landtag in Hannover auf jede Stimme angewiesen.
Hannover/Berlin. Abstraktes Normenkontrollverfahren, Berichterstatterbenennung, Europäischer Stabilitätsmechanismus - die parlamentarische Welt ist leider nicht für schöne Begriffe bekannt. Eine prägnante Ausnahme verkörpert der "Heide-Mörder": jener unerkannte Bösewicht, der im März 2005 SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis bei ihrer Wiederwahl im Kieler Landtag eine sicher geglaubte Stimme verweigerte. Die jahrzehntelange Karriere der Sozialdemokratin endete abrupt. Seither sah man Simonis nur kurz in einer RTL-Tanzshow, die sie nach hämischer Kritik verließ.
Kein Wunder, dass in der Politik noch heute die Angst vor dem "Heide-Mörder" umgeht. Besonders in jenem Land, in dem die Lüneburger Heide liegt: Bei der Wahl des neuen SPD-Fraktionschefs im niedersächsischen Landtag gab es eine unbekannte Gegenstimme. Weil Rot-Grün bei der Wahl am Sonntag ja nur eine Mehrheit von einer Stimme bekommen hat, sorgt sich nun vermutlich Stephan Weil. Der designierte Ministerpräsident äußerte zwar Verständnis für interne Meinungsverschiedenheiten. Seine unmissverständliche Botschaft lautete indes: "Ich habe aber die Erwartung und Gewissheit, dass wir anschließend nach außen einstimmig auftreten." Bei seiner für den 19. Februar geplanten Wahl zum Regierungschef wäre das zweifellos hilfreich.
Zumal die Niedersachsen mit knappen Mehrheiten schon eine ähnlich drastische Erfahrung gemacht haben wie ihre Küstenbewohner-Kollegen in Schleswig-Holstein. 1974 scheiterte die Wahl des Sozialdemokraten Alfred Kubel - bei einer Mehrheit von einem Sitz - zum Ministerpräsidenten. So kam Christdemokrat Ernst Albrecht an die Macht. Ab 1986 jedoch regierte seine schwarz-gelbe Koalition eine volle Legislaturperiode mit einer Stimme mehr. Ein solcher Vorsprung genügte auch Gerhard Schröder für eine SPD-Alleinregierung (1994 bis 1998).
Später als Kanzler berief sich Schröder wiederholt auf seine Erlebnisse in Niedersachsen: Eine derart dünne Mehrheit habe durchaus eine disziplinierende Wirkung auf die eigenen Leute. Diese These hinderte ihn 2005 - kurz nach dem "Heide-Mord" - allerdings nicht daran, die vorzeitige Neuwahl des Bundestags damit zu begründen, er könne sich seiner knappen rot-grünen Mehrheit nicht mehr sicher sein.
Ypsilantis Scheitern mit Anlauf
Am spektakulärsten scheiterte zuletzt Andrea Ypsilanti an Abweichlern. Doch jene vier SPD-Abgeordneten, die ihre Wahl zur hessischen Ministerpräsidentin im November 2008 vereitelten, gaben dies immerhin einen Tag vorab öffentlich bekannt. Und sie hatten eine inhaltliche Begründung, weil sich Rot-Grün wider vorherigen Versprechens von den Linken tolerieren lassen wollte.
Schleswig-Holstein übrigens konnte den "Heide-Mord" - obwohl der Täter nach wie vor unbekannt ist - vor einem halben Jahr zu den Akten legen: Torsten Albig, dessen Koalition aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband auch nur eine Mehrheit von einer Stimme hat, wurde problemlos Regierungschef.
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