Freitag, 15. Februar 2013

Washington: Der Mann, der bin Laden getötet hat, steht vor den Trümmern ... - donaukurier.de

Seine Ehe ist zerbrochen und ihn plagen Selbstmordgedanken. Nur gelegentlich traut er sich unter Menschen. Beim Betreten von Husern oder Geschften sucht er zunchst die Ausgnge: „Es ist immer gut, die Fluchtwege zu kennen", sagt er. Bei gelegentlichen Ausflgen ist er schweigebadet, stets hat er ein Messer in der Tasche. „Wenn Sie kommen, um mich zu holen, will ich nicht schutzlos sein." Schusswaffen fasst er nicht mehr an: „Ich habe genug Menschen gettet, das ist vorbei."
 

Der von Prsident Barack Obama als „amerikanischer Held" geadelte Schtze hat sich jetzt dem Starreporter Phil Bronstein fr ein langes Essay im Politikmagazin „Esquire" offenbart. Dessen minutise Schilderung vom Ablauf des Zugriffs auf bin Ladens Versteck in Pakistan, von den tdlichen Schssen und dem Ende des El-Kaida-Bosses wurden von US-Offiziellen, der Fhrungsriege des Geheimdienstes CIA und des Verteidigungsministeriums, in allen Punkten besttigt: „Bronsteins ,Shooter' war der Mann im Team 6 der Navy Seals, der bin Laden stellte und mit zwei gezielten Schssen in den Kopf ttete."

Unwiderlegbarer Beweis sind die von den „Seals" beim Einsatz gemachten Videoaufnahmen, die per Satellit live nach Washington bertragen wurden, sofort in Regierungstresoren verschwanden und die, wenn berhaupt, erst in Jahrzehnten der ffentlichkeit zugnglich gemacht werden. Zu diesem Zeitpunkt werden alle Amerikaner, die an der Aktion beteiligt waren, lngst tot sein, El Kaida und die Terroranschlge vom 11. September 2001 werden womglich nur noch eine Episode in der Geschichte des 21. Jahrhunderts sein.

Die Erinnerungen von The Shooter weichen allerdings in wesentlichen Punkten von den Schilderungen seines Seal-Kameraden Matt Bissonnette ab, der unter dem Pseudonym Mark Owen das reierische Buch „No Easy Day" („Kein einfacher Tag") geschrieben hat, das sofort auf den US-amerikanischen Bestsellerlisten landete. In diesem Werk, das auch die Vorlage fr den inzwischen in Europa angelaufenen und in fnf Kategorien fr den Oscar nominierten Film „Zero Dark Thirty" war, erweckt Bissonnette den Eindruck, er sei es gewesen, „der bin Laden ins Jenseits befrderte". Sein Buch hat den inzwischen aus dem Dienst geschiedenen Ex-Seal zum Millionr gemacht. Seinen Reichtum kann er im Moment allerdings noch nicht so recht genieen: Wegen unerlaubtem Ausplaudern von Dienstgeheimnissen ist ihm das Verteidigungsministerium auf den Fersen – und verlangt die Herausgabe der „ungerechtfertigt erlangten Buchhonorare".

The Shooter indes hat fr sein Interview mit Bronstein keinen Cent angenommen, obwohl ihm mit Sicherheit Geld geboten wurde. Dabei befindet sich Obamas Held wirtschaftlich in einer katastrophalen Lage. Unmittelbar nach dem Einsatz in Afghanistan quittierte er nach 36 Dienstjahren den Dienst. „Ich konnte nicht mehr." Dieser Entscheidung kostete ihn seine Pension, denn die gibt es erst nach 40 Jahren Armeezugehrigkeit. „Der Dank des Vaterlandes fllt bescheiden aus", stellt The Shooter nchtern fest. „Keinen Cent Einkommen mehr, auch die Krankenversicherung fr mich und meine Familie haben sie sofort gesperrt. Die Rechnungen stapeln sich. Soll ich jetzt betteln gehen"

Direkt nach der Verffentlichung des „Esquire"-Essays lie das Verteidigungsministerium mitteilen, dass der Ex-Seal allein wegen der dienstlich erlittenen krperlichen Dauerschaden fr die nchsten fnf Jahre als Zivilist krankenversichert sei. Auch sonst habe ihm die Behrde „ein paar Wohltaten" angeboten: „Um ihm den bergang ins Zivilleben zu erleichterten und ihn vor Gefahren zu schtzen." „Die wollten mich wie Mafia-Aussteiger ins Zeugenschutzprogramm stecken", erzhlt The Shooter: „Mit neuen Papieren und einer erfundenen Lebensgeschichte". Auch einen Job haben ihm seine frheren Vorgesetzten angeboten: „Ich sollte fr eine Brauerei in Milwaukee Bier ausfahren. Fr etwas anderes sei ich ja leider nicht qualifiziert, meinten die Komiker." Der Mann, der bin Laden erschoss, lehnte dankend ab.

Das Installieren einer Alarmanlage in seinem Haus hielt das Verteidigungsministerium fr „berflssig und zu kostspielig". Deshalb lebt er auch in stndiger Angst: „Bei jedem Gerusch denkst du doch: ,Jetzt kommen sie um dich zu holen'." „Sie", das sind die Rcher der Terrororganisation. Sorgen macht sich The Shooter auch um seine Familie. Er lebt getrennt von ihr, aber im selben Haus. „Meine Frau und meine Kinder sind oben, ich hause im Keller." Seine Frau und er liebten sich noch wie am ersten Tag, beteuert er. „Aber ich habe mich psychisch verndert. Wie normal kann man nach einem Job wie meinem denn bleiben"

Auch smtlich Ausweise, die den ihn und seine Familie zum Betreten von US-Militranlagen berechtigten, hat das Ministerium eingezogen: „Wenn meine Frau und die Kinder flchten mssen, wo sollen die sich denn in Sicherheit bringen? Etwa beim Finanzamt" Er hat ihnen eingeschrft, sofort zur nchsten Kaserne zu rennen und den Kommandanten um Hilfe zu bitten. „Ich bete, dass der Tag nie kommen wird." Stolz, bin Laden gettet zu haben, empfindet The Shooter nicht: „Ich habe nur getan, was getan werden musste. Wir drfen doch nie vergessen, was er und seine Kumpane in unserem Land und vielen anderen Gegenden angerichtet haben und zum Teil immer noch anrichten. Vielleicht habe ich einen Teil dazu beigetragen, dass es keinen zweiten bin Laden mehr geben wird." Er sieht sich nicht als Henker, erst recht nicht als Held. Aber etwas mehr Dankbarkeit htte er schon erwartet. Die Reaktionen auf den „Esquire"-Artikel sind eindeutig: The Shooter gehren die Sympathien der amerikanischen ffentlichkeit. Doch das Verteidigungsministerium bleibt hart: „Wir mssen sparen", heit es da. Und: „Wenn wir bei einem unserer ehemaligen Beschftigten pltzlich grozgig werden", erklrt ein Sprecher, „wohin soll das denn fhren"


Von Peter W. Schroeder

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