Die Brüder Taviani können nichts dafür, wenn einem Cäsar muss sterben", ihr semidokumentarischer Spielfilm über eine Shakespeare-Aufführung unter Strafgefangenen, schon bei seiner Berlinale-Premiere im Februar 2012 bekannt vorgekommen war. In der JVA Wiesbaden war bereits 2010 ein ganz ähnliches Filmprojekt entstanden, wenn auch ohne Budget, nicht ganz programmfüllend und allein aus eigener Initiative seines Regisseurs entstanden. Und doch berührte Otmar Hitzelbergers Dokumentarfilm Die Allerletzten", der beim Frankfurter Filmfestival Lichter" 2011 eine lobende Erwähnung erhielt, in ähnlicher Weise.
Wahrscheinlich ist das Thema einfach universell: Wir sind es gewohnt, Kunst als gesellschaftliches Ereignis zu genießen, und erwarten nicht, sie unter den Ausgeschlossenen der Gesellschaft anzutreffen. Und wenn sich dann Kriminelle zu Künstlern entwickeln, verschieben sich die Perspektiven. Es öffnet sich einiges hinter verschlossenen und bildungsfernen Türen. Das Menschliche siegt über das Vorurteil. Wären diese Männer auch zu Straftätern geworden, wenn Shakespeare schon vorher zu ihnen gesprochen hätte?
Diese Frage lässt einen auch nicht los bei Cäsar muss sterben", diesem großartigen Comeback der über 80-jährigen Brüder Taviani. In einem Hochsicherheitstrakt haben sie mit den Inhaftierten Shakespeares Julius Caesar" inszeniert. Und blenden nach der farbgewaltigen Schlussszene des Dramas, mit der ihr Film beginnt, in eine schwarz-weiße Rückschau über. Der Anfang ist heiter: ein typisches Casting, lustig montiert, wie man es schon oft im Kino sah. Doch dann wird es bald ernst. Nicht allein, weil den Insassen plötzlich die Bühnenbretter eine Welt bedeuten, sondern weil ihnen dadurch der Verlust der wahren Welt bewusster wird. Am Ende des Theaterprojektes bekennt ein Häftling traurig, erst jetzt erscheine ihm seine Zelle als Gefängnis.
Man ist nicht wirklich überrascht zu erleben, dass an manch einem verurteilten Mafioso ein Schauspieler verloren ging. Doch den Tavianis, die sich in ihrem Film durch die Figur eines fiktiven Regisseurs ersetzen lassen, geht es auch kaum darum. Sie verteidigen den Wert des Lebens an sich. Aber auch die freie Form des Films ist eine Befreiung. Sie führt zurück zur prägenden Epoche des Nachkriegsfilms, zum italienischen Neorealismus. Nicht allein die Schwarzweiß-Ästhetik steht für dessen Erbe. In der Arbeit mit Laiendarstellern treiben die Tavianis die Ideale eines Roberto Rossellini sogar auf eine besondere Spitze: Mörder spielen Mörder.
Gemeinsam mit Joris Ivens hatten die gelernten Journalisten Paolo und Vittorio Taviani 1960 den sozialkritischen Dokumentarfilm Italien ist kein armes Land" gedreht. Um später die Armut der Landbevölkerung zum Hintergrund gleichermaßen realitätsnaher wie poetischer Spielfilme zu machen. Das Besondere ihrer frühen Filme eine Balance aus Härte und poetischer Überhöhung, meisterlich in Kaos" (1984) verflüchtigte sich allerdings zuletzt zu Gunsten einer indifferenten Gediegenheit, wie sie für den Niedergang der italienischen Filmkultur typisch war. Umso erfreulicher ist nun die Rückkehr des Bruderpaars zum Purismus und zur Strenge ihres Frühwerks. Wollt ihr mal wieder richtig weinen?" Mit dieser Frage hatten sie sich zu einer Gefangenenaufführung locken lassen und damit auf den Pfad der cineastischen Tugend zurückgefunden.
Cäsar muss sterben (Cesare deve morire) Italien 2012. Regie: Paolo & Vittorio Taviani, Mitwirkende: Salvatore Striano, Cosimo Rega, Giovanni Arcuri. 77 Minuten, Farbe/Schwarz-Weiß. FSK ab 6.
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