Donnerstag, 27. Dezember 2012

Echte Mörder - DIE WELT

Nimmt man das Kino als Spiegel der Gesellschaft, dann tritt der Zwiespalt offen zu Tage: Als Täter ist der Verbrecher eine faszinierende Gestalt, über dessen Vorgehen, Geschick und Motivation sich in raffinierten Handlungssträngen spekulieren und fantasieren lässt. Als Häftling aber büßt er jede Aura ein und bildet allenfalls noch für engagierte Sozialarbeiter oder Dokumentarfilmer ein Subjekt von Interesse.

Über die Auswirkung dieser Verurteilung zu Anonymität und Unsichtbarkeit wird jedoch wenig nachgedacht. Dafür braucht es Projekte wie das des italienischen Theaterregisseurs Fabio Cavalli, der seit gut zehn Jahren mit den Insassen eines Hochsicherheitsgefängnisses in Rom Stücke von Shakespeare bis Genet inszeniert. Die Brüder Paolo und Vittorio Taviani haben nun eine dieser Inszenierungen, Shakespeares Römertragödie "Julius Cäsar", als Ausgangspunkt ihres neuesten Films genommen und daraus eine packende Mischung aus Drama und Dokumentation geformt, die auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde.

"Cäsar muss sterben" zeigt die eigentliche Theaterinszenierung als Aufführung vor Publikum in kurzen, farbigen Sequenzen nur zu Beginn und am Ende des Films. Sie bilden lediglich die Klammer für das, was sich in Schwarzweiß dazwischen abspielt. Darin dokumentieren die Tavianis ein "Making-of" der etwas anderen Art. Ein paar knappe Szenen zeigen den Theatermann Cavalli beim schwierigen Prozess des Castings. Männer, die das sichtlich nicht gewöhnt sind, werden da zum Vorsprechen und Vormachen aufgefordert. Sie straucheln mit der Literatursprache und der Darstellung von Emotionen sehr viel weniger, als man erwartet. Ganz nebenbei bekommt der Zuschauer mit, dass Cavalli seine Laiendarsteller ganz bewusst in ihren verschiedenen Dialekten sprechen lässt.

Bevor sich der Zuschauer jedoch allzu sehr für die Protagonisten erwärmt, klärt eine Sequenz darüber auf, dass es sich bei den Darstellern der geplanten "Julius-Cäsar"-Inszenierung ausnahmslos um Schwerverbrecher handelt, um größtenteils zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilte Mörder, Mafiosi und Drogenhändler. Dass im wohl bekanntesten Monolog aus Shakespeares Stück der Begriff des "ehrenwerten Mannes" dekonstruiert wird und dass eine ähnliche "Ehrenwertigkeit" zu den Schlüsselbegriffen des Mafiositums gehört, bildet nur einen der vielen augenöffnenden Momente des Inszenierungsprozesses. Es ergibt sich ein fesselndes Dokudrama sowohl darüber, was das Theaterspielen für diese Häftlinge bedeutet, als auch darüber, was Literatur und Theater überhaupt vermögen.

++++- Shakespeares Drama erstrahlt in Modernität

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