Noch immer kein Ende der Geiselnahme im amerikanischen Bundesstaat Alabama. Seit nunmehr drei Tagen hält in dem kleinen, 2300 Einwohner zählendem Ort Midland City ein Vietnam-Veteran und pensionierter Lastwagenfahrer einen fünfjährigen Jungen, der laut lokalen TV-Stationen Ethan heißt, in seinem selbstgebauten Bunker gefangen.
Der 65-jährige Jimmy Lee Dykes hatte am Dienstagnachmittag einen Schulbus überfallen, den Fahrer Charles Poland (65) erschossen und eines der 23 Kinder als Geisel genommen. Trotz intensiver Verhandlungen der Polizei hat sich Dykes bisher geweigert, den Jungen freizulassen und aufzugeben.
"Wir nehmen uns Zeit und hoffen, so den Geiselnehmer zu zermürben", sagt Polizeisprecher James Arrington. "Oberste Priorität ist es, dass der Junge unverletzt bleibt." Nachbarin Kelley Miller, die Dykes kennt, sagt: "Ich denke, er wird dem Jungen nichts tun. Dykes will uns etwas sagen. Was auch immer das sein mag. Der Junge dient ihm nur zum Schutz."
"Irgendwann muss er aufgeben"
Laut Polizei kenne Dykes seine Geisel nicht und habe sie nur zufällig ausgesucht. Ursprünglich wollte er offenbar zwei Kinder mitnehmen. Busfahrer Poland hatte sich Dykes aber in den Weg gestellt und so die Flucht der anderen 22 Schüler durch die Hintertür des Schulbusses ermöglicht. Dykes hatte Poland daraufhin mit vier Schüssen getötet.
Poland und Dykes haben sich offenbar gekannt. Am Morgen hatte der Busfahrer seinem späteren Mörder noch "Eier und Marmelade" geschenkt. Poland bedankte sich dafür, dass Dykes seine Einfahrt aufgeräumt hatte und der Bus so besser wenden konnte. Dykes soll das Geschenk später einem Nachbarn gegeben haben. "Ich brauch' das Zeug nicht", soll er gesagt haben.
Für die mittlerweile 50 Einsatzkräfte von Polizei, FBI und Sprengstoffexperten, die das Gelände umstellt haben, ist es offenbar schwierig, den 1,20 Meter unter der Erde liegenden Bunker im Garten von Dykes zu stürmen, ohne den Schüler in Gefahr zu bringen. "Wir warten erst einmal ab", sagte Arrington. "Irgendwann muss er aufgeben."
Umliegende Häuser evakuiert
Der Schutzraum soll laut Polizei etwa 1,80 Meter mal 2,40 Meter groß und fast 2,50 Meter hoch sein. Dykes, der vor fünf Jahren nach Midland City gezogen war, muss ihn vor seiner Tat mit Lebensmittel und einem Fernsehen ausgestattet haben. Auch Strom und eine Heizung muss es geben. Die Temperaturen in der Nacht liegen nur knapp über dem Gefrierpunkt. Die umliegenden Häuser wurden aus Vorsicht evakuiert.
Die Polizei verhandelt über ein zehn Zentimeter dickes Lüftungsrohr mit dem Geiselnehmer. Darüber wurde der unter ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit) und Asperger-Syndrom, einer Form von Autismus, leidende Junge auch mit Medikamenten, einem Malbuch sowie Buntstiften versorgt. "Er weint viel und vermisst seine Eltern", sagt Polizeisprecher Arrington. Ansonsten soll es dem Jungen aber den Umständen entsprechend gut gehen. Die Eltern warten nahe des Tatortes auf das Ende der Geiselnahme.
"Er hat vor zwei Jahren mit dem Bau des Bunkers begonnen", sagte Nachbar Jimmy Davis den örtlichen TV-Stationen über Dykes. "Immer wenn ich gegen 2 Uhr morgens von meiner Nachtschicht nach Hause kam, habe ich ihn gesehen." Als er Dykes darauf ansprach, habe der nur gesagt, er wolle sich einen Schutzraum gegen Tornados bauen.
"Er war ein typischer Einzelgänger"
Viele Bürger in der vor allem durch ihre Erdnussfarmen bekannten Gegend, etwa zwei Autostunden nördlich der US-Golfküste, haben einen solchen Bunker. Ungewöhnlich sei nur, so Davis, dass Dykes daran mitten in der Nacht gebaut habe.
Nachbarn beschreiben den Geiselnehmer als "einsamen Mann", der keine Freunde habe und sich auch nicht in der Gemeinde engagierte. Dykes soll "paranoid" gewesen sein und einen "Hass auf die Regierung" gehabt haben. Der Vietnam-Veteran, der zuletzt als Lastwagenfahrer gearbeitet hatte, habe sich von der Regierung in Washington bedroht und verfolgt gefühlt.
Die Beschreibungen der Nachbarn bestätigte mittlerweile auch die Polizei. "Er war ein typischer Einzelgänger, der der Regierung nicht über den Weg getraut hat", sagte Tim Byrd, einer der Ermittler. "Er fiel in der Nachbarschaft immer wieder durch antiamerikanische Parolen auf."
Ob das auch das Motiv des Geiselnehmers ist, blieb jedoch auch am Freitag, dem vierten Tag der Geiselnahme, unklar. Dykes hatte am Mittwoch einen Gerichtstermin. Ihm wird vorgeworfen, seinen Nachbarn und dessen sechs Monate alte Tochter mit einer Waffe bedroht zu haben.
James Davis war mit seinem Wagen über Dykes Grundstück gefahren. Nach einem Streit habe Dykes daraufhin seine Pistole geholt und zwei Schüsse auf den im Auto flüchtenden Davis und dessen Tochter abgegeben. Bei einer Verurteilung droht Dykes eine Haftstrafe von bis zu sechs Monaten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen